Zschopau-Mulde-Fahrt

Geschichte |  Strecke |  Wettkampf |  Städte |  Fahrtberichte |  Galerie |  Liederbuch |  Aktuelles

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche (1962)

Die Wasserwanderkommission des DKSV hatte die nun schon zur Tradition gewordene Durchführung der Kanuten-Osterfahrt vom 20. bis 25. April auf Zschopau und Mulde ausgeschrieben. Organisation und Durchführung wurden in die Hände unseres bewährten Sportfreundes Rudi Raab, Jeßnitz, gelegt.

Die Gesamtstrecke mit 18 Wehren ging auch in diesem Jahr von Waldheim bis Bitterfeld, betrug 133 km und wurde in 4 Tagestouren gefahren.

Am unteren Waldheimer Wehr hatten sich beim leider - wie sich später herausstellen sollte - allzu pünktlichen Start zur ersten Etappe Waldheim - Leisnig, (Gesamtstrecke 18 km mit 10 Wehren) 17 Kanusektionen aus Dresden, Leipzig, Gera, Groitzsch, Meißen, Jeßnitz, Radebeul/Dresden, Halle, Zossen, Ludwigsfelde, Babelsberg, Rochlitz, Bernburg, Coswig, Güstrow, Luckenwalde und Dessau, mit starken Mannschaften eingefunden.

Auf der Uferwiese am unteren Wehr in Waldheim wurden von den aktiven Kanuten, die meist schon am Donnerstag angereist waren, die Boote aufgebaut. Obwohl der Start auf 10 Uhr festgesetzt war, bildeten doch schon beizeiten zahlreiche aufmerksame Zuschauer eine bunte Kulisse.

Der anfänglich dichte morgendliche Hochnebel verteilte sich nach kurzem Niederschlag, es wurde licht, und bald ließ sich ab und zu die Sonne sehen. Es verhieß ein guter Tag zu werden, als sich die erwartungsvollen Wassersportler aus der ganzen DDR auf die Reise begaben. Auf eine nette kleine Begrüßungs- und Eröffnungsansprache hatte man verzichtet. Leider, muß man sagen. Das Gepäck der über 150 Teilnehmer war auf einen von der Waldheimer Sektion gestellten LKW verladen worden und rollte bereits nach Leisnig.

Der echte Kanute ist sehr naturverbunden und wissensdurstig, denn sonst würde er nicht vom März bis November auf dem Wasser liegen, um oft mehr als 1000 km im Jahr zu paddeln.

Nach allgemeiner Schätzung hatte die reichlich wasserführende Zschopau eine Temperatur von etwa 10 Grad. Einige unserer jungen Wissensdurstigen, unser Sportfreund Wolfgang Rudolph, Fahrtenleiter der Sektion Groitzsch, war aber so neugierig, daß er es ganz genau wissen wollte. Er machte das sehr geschickt, indem er gleich nach dem Start mit "voller Pulle" - 2 m vom Ufer auf einen grasbewachsenen Abbruch auffuhr. Genau nach Berechnung schwang sein Pouch-Einer im Strom, wälzte sich lässig vom Graspatzen auf die Seite und ... Das Wasser sei tatsächlich schon 10 Grad warm, bestätigte Wolfgang sachkundig, als er wieder am Ufer stand. Die dicken, mit Schinken belegten Butterbrote und der übrige Reiseproviant hatten allerdings - wie es in Seereiseabenteuerschilderungen oft heißt - "durch überkommendes Seewasser" etwas gelitten. Alle anderen Güter waren sportgerecht und wasserdicht verzurrt, wie es sein soll, und blieben im Boot.
Nun ja, Wolfgang, der Erstbefahrungen auf Wildflüssen der Stufe III/IV 360 km nördlich des Polarkreises in Finnland mitgemacht hatte, ohne zu kentern, war auf heimatlichem Boden 2 m vom Ufer als "primus inter pares", als erster unter Gleichwertigen, ins Wasser gefallen. Auf dieser Etappe gingen nämlich noch weitere 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmer baden.

Das Umtragen der Wehre ging in kameradschaftlich vorbildlicher Weise weniger leicht als schnell vor sich. Einer half dem anderen, eine Sektion der anderen.

Die 17jährige Hannelore Nitsche aus Halle sagte am Ende der Fahrt "Ich bin zu ersten Mal mit auf einer solchen Langfahrt gewesen. Die Fahrt im Slalom-Einer erfordert Ausdauer und Einsatzfreude. Die Eindrücke wunderschöner Naturerlebnisse heben aber alle Anstrengungen auf.

Ihre Sportfreundin Renate Albrecht, Halle, 16 Jahre, und ebenfalls erstmalig im Slalom-Einer auf Langfahrt, fügte hinzu: "Die Zschopau bot sportlich und landschaftlich das Beste an Wehren und Schnellen. Die Betreuung, besonders in Leisnig, war eine sehr gute. Die Fahrterleichterung durch den Gepäcktransport mit LKW war ideal. Ich werde jederzeit wieder mitmachen. Unsere Sportfreunde, auch die der anderen Sektionen - besonders die Dessauer - waren stets sehr hilfsbereit."

In Leisnig trafen wir gegen 15 Uhr am vor dem Wehr gelegenen Zeltplatz und Bootshaus etwas mitgenommen aber fröhlich ein. Wir hatten daher reichlich Zeit zur Verfügung, bis zum Einbruch der Dunkelheit unsere Übernachtungsstätte, die hoch auf dem Berge liegende Oberschule, zu erklimmen. Aber Klettern gehört ja auch zum Sport. Der Kulturbund Döbeln veranstaltete nach herzlicher Begegnung durch den Sektionsleiter einen interessanten heimatkundlichen Agfa-Color-Lichtbildervortrag, der mit Beifall aufgenommen wurde. Hierzu muß allerdings bemerkt werden, daß von den ermüdeten Kanuten ein bunter geselliger Abend mit Musik, Liedern und etwas Trinkbarem begeisterter aufgenommen worden wäre.

Am späten Nachmittag hatte es nämlich schon eine Überraschung gegeben. Die Kanusektion Rostock traf mit 10 Booten ziemlich erbost von Waldheim nachkommend mit vollem Gepäck ein, und wir zählten nun 168 Teilnehmer in 109 Booten. Hier gab Sportfreund Rudi Raab selbstkritisch zu: "Schlecht von uns war, daß wir das Schreiben der Rostocker Sportfreunde - die ihre Ankunft mit dem Zug für 10.30 Uhr angekündigt hatten - nicht beachteten, ja glatt vergessen hatten." So mußten sie, nachdem der LKW bereits weg war, ihre Boote mit vollem Gepäck über 10 Wehre schleppen.

Einwurf meines Bruders Wolfgang: "Auch die Desdner mußten am Donnerstag bei ihrer Ankunft das schwere Gepäck 3 km hoch den 'Wahnsinnsberg' in Waldheim zur Jugendherberge hinaufschleppen. Ich würde vorschlagen, daß für die ganze Fahrt von der Volksarmee oder von der VP ein LKW mit Hänger als Begleitfahrzeug abgestellt wird - so haben wir es in der Sowjetunion kennengelernt. Das klappt und erspart dem mit der Durchführung Beauftragten und den Teilnehmern unnötige Wege und Belastungen. An der Strecke liegen genug Garnisonen, die aus Sportgeist eine solche Patenschaft für ihre 'zukünftigen Mitarbeiter' übernehmen würden und die über solche Fahrzeuge reichlich verfügen." Ich mußte beobachten, daß viele Sportfreunde mit ihren und den BSG-eigenen Booten oft etwas fahrlässig umgehen. Zum Beispiel werden Wehre gefahren, die im Voraus als unbefahrbar erkannt werden, bei denen klar ist, daß es zu Grundberührungen kommen muß. So werden Heckbeschläge abgerissen und Bootshäute beschädigt, weil aus Bequemlichkeit solche Wehre nicht umgetragen werden. Jedes Wehr oder andere Hindernis sollte man sich vorher genau ansehen, es lohnt sich.
Hier muß auch der persönliche Einsatz des Sportfreundes von der BSG Lok Leisnig Sektionsleiter Hessel hervorgehoben werden. ("Ganz groß!" "In Ordnung!" war die Meinung der Teilnehmer.) "Gerade dieser persönliche Einsatzwille fehlte den Betreuern während der Fahrt. Die Verbindung zwischen den Sportsektionen an der Strecke untereinander war schlecht, obwohl sie mit der teilweisen Organisation beauftragt waren. Sie fehlte zu den Fahrtteilnehmern an vielen Orten völlig. Sie kümmerten sich sehr mangelhaft um ihre Aufgaben, weil schon in den Sektionen keine gute sportliche Arbeit zu verzeichnen ist.", brachte Rudi Raab in dieser Sache zum Ausdruck. Es stimmte. Das vom Verband eingesetzte Fahrtenleiterkollektiv hat zwar die Vorbereitungen für die Fahrt getroffen, konnte aber selbst an der Fahrt nicht teilnehmen, da es durch anderweitige Abberufungen verhindert war.

Der vorgesehene touristische Mehrkampf mußte leider ausfallen, da die Meldungen der einzelnen Teilnehmer zu spät eintrafen und dann eine Organisation sowie die Nominierung der Kampfrichter nicht mehr möglich war. Es wäre zu wünschen, daß in Zukunft die Ausschreibung von Sektionen und Sportlern besser genutzt wird und die Termine eingehalten werden. Wir empfehlen auf jeden Fall, den touristischen Mehrkampf im nächsten Jahr doch durchzuführen, da das Interesse besonders bei den jüngeren Teilnehmern vorhanden ist. Man kann ihm ein solche leichte und interessante Form geben, daß alle mitmachen.

Sektionsleiter Kar-Heinz Schuldt, Rostock: "Ich habe die gleiche Fahrt schon einmal mitgemacht und schließe mich der Meinung Rudi Raabs an. Im Übrigen sind wir nicht nachtragend. Unser Zorn ist verraucht. Die vielen herrlichen Eindrücke haben ihn ausgelöscht, wir sind reich entschädigt worden. Das Wetter war vorzüglich eingeplant. Deshalb riskierten unsere vorsichtige Magdalena Voigt (22) und ihr Verlobter Peter Klein erstmals ein Wehr, das bei Nitzschka zwischen Grimma und Eilenburg und kenterten. Obwohl sie schon über ein Jahr Mitglieder der Sektion sind, kannten sie doch solches Wasser nicht. Die Mulde ist zur Zeit sehr schnell und führt viel Wasser. Der schwerbeschädigte Sportfreund Damm und sein Freund sind ebenfalls Anfänger. Sie fuhren 4 Wehre nach vorherigem 'Anschauen' einwandfrei."

"Diese Fahrt war ein Erlebnis", betont auch der 47-jährige Rostocker Walter Schade. "Mit meiner Tochter Hille (17) fahre ich zum ersten Mal im Inland. Sonst paddeln wir auf der Nebel bei gutem Wasser im Frühjahr und auf der Warnow im Sommer".

Walter Pretsch, Turbine Halle, hat mit seinen 51 Jahren schon mehrfach den goldenen Wasserwanderwimpel errungen. Er meint: "Das hat mir sehr gefallen. Ich überfuhr die meisten, das heißt die befahrbaren Wehre mit meinem alten Boot von 1928 glatt. Die Zschopau führt sehr sauberes Wasser und ist für jeden zünftigen Kanuten eine Freude. Rudi Raab hat sich bemüht, aus allem das Beste zu machen und uns viel erleichtert. Mit dem schnellen Besorgen von Lastwagen beseitigte er manche Panne."

"Das Faltbootfahren erhält uns jung", unterstreicht auch der 52jährige Herbert Bernhardt aus Freital von Dynamo Dresden. "Ich paddle gut 40 Jahre, für den goldenen Wimpel würde es jedes Jahr reichen, denn 1000 km paddeln wir, meine Frau mit ebenfalls 52, jedes Jahr nach dem Kriege. Im vorigen Jahr waren wir in Ungarn. Wenn es nach uns ginge, würden wir den ganzen Sommer auf dem Wasser bleiben. Diesmal haben wir die Wehre umtragen, das neue Boot hat noch Schonzeit."

Ein ganz besonders achtenswerter Sportveteran ist der fast erblindete Rentner Erich Höse aus Leipzig-Lindenthal. Er ist immer erfreut, wenn er von einem Sportfreund - und das oft genug - auf Fahrt mitgenommen wird. Dann zieht Erich auch heute noch mit 53 Jahren einen zünftigen Wanderschlag durch. Er unterstützt sehr stark die Verbandsarbeit im Bezirks- und DDR-Maßstab, vor allem setzt er seine ganze Kraft bei der Aufbauarbeit für Kanulager am Woblitzsee ein. Er hat sich besonders für den Massensport bei den Leipziger Kanuten verdient gemacht.

Beim Start zur 2. Etappe (Leisnig - Grimma, Gesamtstrecke 28 km, mit 2 Wehren) ereignete sich vor dem Wehr in der Stadt ein vermeidbarer Unfall. Der jugendliche Dresdner Sportfreund Erich hatte sich - obwohl gewarnt - mit äußerster Unvorsichtigkeit zu dicht ans Wehr gewagt. Sein Faltboot-Einer wurde, da er den gewaltigen Sog und Druck der hochwasserführenden Mulde unterschätzte, im Handumdrehen um einen der eisernen Wehrpfeiler gewickelt. Er kann von Glück sagen, daß er mit heiler Haut von seinen Kameraden gerettet wurde. Das Boot ging natürlich hundertprozentig zu Bruch, für ihn war hier Endstation.
Auch in Grimma wurde für die ermüdeten, sonnenverbrannten Wassersportler am Abend ein "Raumbildervortrag mit Brille" gehalten.

Nachdem die Betreuung durch die BSG - fast keiner der verantwortlichen Funktionäre kümmerte sich um die Gäste - sehr mäßig war, entschädigte wiederum Mutter Natur sehr großzügig. Das herrlichste Osterwetter begrüßte die unentwegten Kanuten am Startplatz zur 3. Etappe am 1. Feiertag. Sie wurde mit einer Gesamtstrecke von 38 km, 5 Wehren und hochsommerlichen Temperaturen bis zu 30 Grad zur landschaftlich schönsten und sportlich interessantesten Tagestour. Herausgefordert durch das prächtige, schnelle Wasser wurde wieder viel riskiert, also die Wehre überfahren. Resultat: Spantenbrüche und Kenterungen am laufenden Band.
Allgemeine Feststellung des Fahrtenleiters Rudi Raab, Jeßnitz: "Disziplin der Sportler vorbildlich. Faire sportliche Kameradschaft und Unterstützung beim Umtragen wie bei Kenterungen ganz ausgezeichnet." Die Übernachtungsstätten wurden peinlich sauber verlassen. Eine seit 9 Jahren aktive geübte Slalomfahrerin aus Bernburg zog sich Spantenbrüche an einem unsichtbaren Unterwasserpfahl zu. Sie bemerkte: "Das kann jedem passieren! Ich schlage deshalb mit allem Nachdruck vor, daß die anliegenden Sektionen am Fluß in der Trockenzeit die Pfähle und Gefahrenstellen gewissenhaft ausrotten."

Am Abend vor der 4. Etappe gab es im Bootshaus Eilenburg einen zünftigen Kanutenabend bei Liedern, Harmonika und Bier. Vor uns lagen nur noch 49 km mit einem Wehr, und das war bis Mittag geschafft. Es war ein großes Erlebnis, wir kommen alle gern wieder. Hoffentlich werden unsere Hinweise für das nächste Jahr berücksichtigt, hoffentlich haben sich alle Kanuten für das Lehrgeld gutes Wissen und wertvolle Erfahrungen eingehandelt.
Fritz Rudolph, Groitzsch

Zurück zur Übersichtsseite der Fahrtberichte

spierentonne.de - über das Leben am, im und auf dem Wasser   ©Roland Stelzer  Impressum